Herbstspinnen: eine Vergewaltigung

Interessante Beobachtungen aus dem Leben unserer Makromotive oder unserer Naturmotive mit dokumentarischem Charakter
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Felix Speiser
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Herbstspinnen: eine Vergewaltigung

Beitragvon Felix Speiser » 10. Nov 2013, 13:21

Herbstspinnen: eine Vergewaltigung

Ich sitze in einem verwilderten Garten, umgeben von Feldern der Normandie, und schaue den kleinen (ca. 6.5mm) Herbstspinnen (Metellina segmentata) zu. Dabei entdecke ich ein interessantes Paarungsverhalten, das ich bisher so noch nicht nicht gesehen hatte. Nachfolgend findet Ihr fünf Szenen aus dieser kurzen und spannenden Begegnung mit diesen weit verbreiteten und doch so oft übersehenen „Spinnlein“.


Abb. 1 - 12:37:07: Die Holde ruht in Bodennähe zwischen Rumexblättern im Netzzentrum. Die Anordnung der Beine lässt erkennen, weshalb diese Spinnen der Gattung der Streckerspinnen zugeordnet werden.

Abb. 2 - 12:44:15: Plötzlich fliegt eine schillernde kleine Goldfliege am unteren Netzrand vorbei und bleibt prompt hängen. Sofort stürzt sich die Spinnenfrau auf die Beute und lähmt die zappelnde Fliege in wenigen Sekunden.

Abb. 3 - 12:51:27: Zum Morgenschmaus kommt es dann aber nicht mehr. Ein „Spinnenmann“ taucht auf und verjagt mit seinen langen Beinen die „Spinnenfrau", umhüllt die Beute mit einigen Spinnfäden und verharrt dann in Ruhe.

Abb. 4 - 12:51:31: Diese Ruhe ist allerdings nur von kurzer Dauer, denn die Spinnenfrau wagt sich rasch wieder vor und der Spinnenmann verzieht sich um dann aber gleich wieder die Spinnenfrau mit deutlich vorgestreckten Tastern zu bedrängen. Dies wiederholt sich in kurzen Abfolgen einige male, immer in der Nähe der erbeuteten Fliege.

Bild 5 - 12:56:57: Bald bekommt der Spinnenmann dann die Gelegenheit die Spinnenfrau zu packen, wobei die Holde sogleich erstarrt und sofort von den langen Beinen des Spinnenmannes regelrecht eingepackt wird. Diese Paarung erfolgt sehr schnell und überraschend und kommt beinahe einer „Vergewaltigung“ gleich. Nach etwa einer Minute ist dann alles vorbei und das Männchen verzieht sich wieder. Auch das Weibchen verkriecht sich im Unterholz und beide Spinnen zeigen an der schönen goldigen Beute kein Interesse mehr.

Dieses Paarungsverhalten, das inklusive Vorspiel lediglich etwa 20 Minuten dauerte (vergl. Zeitangaben zu den Abbildungen) entspricht den Angaben von Stephen Dalton, der beschreibt wie Herbstspinnenmännchen von ihren längeren Beinen profitieren um die mit einer Beute beschäftigten Weibchen zu überwältigen und so kaum Gefahr laufen, von der Schönen aufgefressen zu werden, wie man das ja vom Spinnenvolk weithin so gut kennt.

Im letzten Jahr dauerte das beobachtete „Paarungspiel“ einige Stunden und glich einem sanften Tanz (-> http://www.makro-forum.de/fpost842295.html#842295 ) Das entspricht eher der Beschreibung von Heiko Bellmann. Dieses Jahr war es kurz und dramatisch, entspricht somit eher den Angaben von Stephen Dalton.

Naja, die „Launen“ der Natur;-)


Literatur:
Heiko Bellmann: Kosmos Atlas Spinnentiere Europas, sS. 98; Franck-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart (2006) - ISBN = 13: 978-3440-10746-1
Stephen Dalton: Spinnen, die erfolgreichen Jäger, S. 130; Haupt Verlag Bern, Stuttgart, Wien (2008) - ISBN = 978-3-258-07445-0

Technische Anmerkungen:
Alle Aufnahmen erfolgten am 1. Oktober 2013 in der Normandie bei Carrouges mit einer Nikon D700, Objektiv Micro-Nikkor 105mm, ISO 400, f=8, 1/50“, Abbm. = ca. 1:1.1 , Ausschnitte ca. 50% .
Die Nachbearbeitung der RAW Bilder erfolgte in Aperture, wobei anschliessend mit HDR-Project-2 (der Firma Francis) mit 4 „Geisterbildern“ (Synthetic Pictures) ein Pseudo-HDR erstellt wurde. Letztere Technik wurde deshalb angewendet, weil die Unterholzumgebung sehr unruhig war. Diese „Unruhe“ wurde zudem durch die häufigen Windstösse und das rasch wechselnde Sonnenlicht verstärkt. Das fotografieren war somit nicht ganz einfach; Ihr kennt das ja, bewegt man das Stativ in einem brachen Feld mit dichtem Unterbau nur leicht, so bewegt sich die ganze Umgebung und die „Fotostars“ damit. Das Scharfstellen der sich rasch ändernden Szenen war eine „kleine“* Herausforderung, war aber lehrreich und hat Spass gemacht.

Beste Grüsse,
Euer Felix
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Beitragvon Werner Buschmann » 14. Nov 2013, 00:07

Hallo Felix,

Danke für Deine bildliche und erzählerische
Darstellung dieser Paarung von Herbstspinnen.

Sehr gut beobachtet und sehr gut festgehalten.
Vor allem Bild 5 ist eine Wucht, gut dass es in einer Serie
steht, und von Dir erklärt wurde, sonst würde man es vielleicht
falsch interpretieren.

Werner
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Liebe Grüße, passt auf Euch auf und vergesst das Lächeln nicht!
Werner
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Beitragvon Gabi Buschmann » 20. Nov 2013, 20:23

Hallo, Felix,

das ist ja eine tolle und spannende Beobachtung, die
du da gemacht und in deinen Bildern festgehalten hast.
Eine super Doku in Text und Bild, Glückwunsch und danke!

Gabi
Liebe Grüße Gabi
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Beitragvon Ajott » 24. Nov 2013, 21:53

Hallo Felix,

interessanter Einblick in das Paarungsverhalten der Spinnen den du hier mit diesem und dem Vorgängerbeitrag schaffst. Danke dafür! Schön, dass du ihn so minutiös beobachten und mit der Kamera begleiten konntest.

liebe Grüße
Aj
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Beitragvon blumi » 25. Nov 2013, 00:08

Hallo Felix

Beeindruckende Bild Dokumentation

danke für Text und Bilder
LG.Jürgen
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Beitragvon erwin50 » 25. Nov 2013, 05:50

Hallo Felix,
spannende Geschichte, festgehalten in sehr guten Bildern! Gefällt mir ausgezeichnet!
liebe Grüße
Erwin
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Beitragvon Christian Zieg » 28. Dez 2013, 07:44

Hallo Felix,

ist ja klasse, dass Du das festhalten konntest. Man ist sich garnicht so im Klaren
darüber, welche Methoden zur Vollstreckung im Spinnenreich zu Erfolg führen.
sehr interessant.

Gruß, Christian
Ihr findet mehr meiner Fine Art Bilder auf meiner Webseite, die über die Namenssuche im Netz zu finden ist.
Zusätzlich findet man mich bei einem zu einem "sozialen Netzwerk" gehörigen Bilder-Netzwerk, auch mit meinem Namen, nachdem ein Punkt kommt und dann das Wort "fineart"

Die Möglichkeiten der deutschen Grammatik können einen, wenn man sich darauf, was man ruhig, wenn man möchte, sollte, einlässt, überraschen

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